Eine Ruhestandsbeamtin, deren Versorgungsbezüge unter Berücksichtigung eines Versorgungsabschlags wegen Teilzeitbeschäftigung festgesetzt wurden, kann auch nach Nichtigerklärung der Vorschriften über den Versorgungsabschlag durch das Bundesverfassungsgericht (vgl. BVerfGE 121, 241) keine Neuregelung ihrer Versorgungsbezüge mit Wirkung für die Vergangenheit verlangen.
Mit seiner Entscheidung vom 14. Juni 2010 (Aktenzeichen 2 A 10593/10.OVG) hat das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts Neustadt / Weinstraße vom 26.01.2010 (Aktenzeichen: 6 K 20/09.NW) bestätigt, wonach das beklagte Land nicht gezwungen ist, rückwirkend Versorgungsbezüge neu festzusetzen.
Dem Verwaltungsrechtsstreit lag folgender Sachverhalt zu Grunde:
Die wegen Dienstunfähigkeit in den Ruhestand versetzte Klägerin war in ihrer aktiven Beamtenzeit als Lehrerin im Dienst des Landes vorwiegend teilzeitbeschäftigt und begehrte unter Bezugnahme auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Juni 2008 – 2 BvL 6/07 – (BVerfGE 121, 241) die rückwirkende Neufestsetzung ihrer bestandskräftig festgesetzten Versorgungsbezüge.
Bei der Berechnung des Ruhegehaltssatzes wurde wegen der Teilzeitbeschäftigung der Klägerin ein Versorgungsabschlag gemäß § 85 Abs. 4 Satz 2 BeamtVG i. V. m. § 14 Abs. 1 Hs. 2 BeamtVG zu Grunde gelegt.
Das Bundesverfassungsgericht hat mit der o. g. Entscheidung die Bestimmungen über den Versorgungsabschlag betr. ehemals Teilzeitbeschäftigte für unvereinbar mit Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG und daher für nichtig erklärt, weil der Versorgungsabschlag zu einer mittelbaren Benachteiligung von Beamtinnen wegen des Geschlechts führe, da von der Möglichkeit der Teilzeitbeschäftigung in weitaus überwiegendem Maße Frauen Gebrauch machten.
Der Europäische Gerichtshof hatte zuvor mit Urteil vom 23. Oktober 2003 und das Bundesverwaltungsgericht mit Urteil vom 25. Mai 2005 eine Europarechtswidrigkeit des Versorgungsabschlags für ehemals Teilzeitbeschäftigte wegen Verstoßes gegen das gemeinschaftsrechtliche Lohngleichheitsgebot festgestellt.
Die Klägerin war der Ansicht, die Neuberechnung ihres Ruhegehaltssatzes und die vollständige Nachzahlung der ihr vorenthaltenen Bezüge müsse ab dem 01. März 2001, dem Zeitpunkt ihrer Ruhestandsversetzung, erfolgen.
Das beklagte Land war dagegen der Ansicht, die Neufestsetzung habe erst ab dem 1. Juli 2008 zu erfolgen, also dem auf die Bekanntgabe der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts folgenden Zahlungsmonat und begründete dies damit, dass die Klägerin gemäß § 51 Abs. 1 VwVerfG keinen Anspruch auf Neufestsetzung der Versorgungsbezüge für die Zeit vor dem 30. Juni 2008 habe, denn mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts sei keine Änderung der Rechtslage eingetreten.
Mit Urteil vom 26. Januar 2010 folgte das Verwaltungsgericht Neustadt an der Weinstraße der Rechtsansicht des beklagten Landes und wies die Klage ab, weil auch Urteile des Europäischen Gerichtshofs Akte der Rechtsprechung seien und damit keine Änderung der Rechtslage gegeben sei.
Gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Neustadt wendete sich die Klägerin und führte ergänzend an, mit Ablauf der Umsetzungsfrist für die Antidiskriminierungsrichtlinie 2002/ 73/EG am 5. Oktober 2005 sei eine Änderung der Rechtslage im Sinne des § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG eingetreten, so dass ihre Versorgungsbezüge ab diesem Zeitpunkt neu festzusetzen seien.
Dem widersprach nunmehr auch das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz und wies die Klage ab.
Weder sah das Gericht die Voraussetzungen der Vorschrift des § 51 VwVfG (Wiederaufgreifen des Verfahrens) noch die Voraussetzungen der §§ 48, 49 VwVfG (Rücknahme wegen Rechtswidrigkeit) gegeben.
Die Voraussetzungen für ein rückwirkendes Wiederaufgreifen des Versorgungsfestsetzungsverfahrens lägen deshalb nicht vor, weil die zu Grunde liegende Sach- und Rechtslage sich nicht nachträglich geändert habe, denn der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Juni 2008 habe nicht zu einer Änderung der Rechtslage im Sinne des § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG geführt. Ein verfassungswidriges Gesetz sei nach allgemeinen Grundsätzen ab dem Augenblick, indem es in Widerspruch zu den Vorgaben des Grundgesetzes tritt, nichtig, ohne dass es hierfür eines verfassungsgerichtlichen Ausspruches bedürfte. Die Bestimmungen des § 85 Abs. 4 Satz 2 BeamtVG in Verbindung mit § 14 Abs. 1 Hs. 2 BeamtVG 1989 über den Versorgungsabschlag für ehemals Teilzeitbeschäftigte sind daher nicht erst mit dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 16. Juni 2008 unwirksam geworden, sondern waren dies wegen ihrer Unvereinbarkeit mit Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG von Anfang an. Das Bundesverfassungsgericht habe diese Nichtigkeit lediglich allgemeingültig und abschließend festgestellt und auch die Urteile des Europäischen Gerichtshofs vom 23. Oktober 2003 (– C 4/02 und C 5/02 –, DVBl. 2004, 188) und des Bundesverwaltungsgerichts vom 25. Mai 2005 (– 2 C 14/04 –, NVwZ 2005, 1080) verpflichten das beklagte Land nicht zum Wiederaufgreifen des Versorgungsfestsetzungsverfahrens. Gerichtliche Entscheidungen – auch höchstrichterliche – könnten nach allgemeiner Auffassung keine Änderung der Rechtslage im Sinne des § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG herbeiführen. Ein Rechtsprechungswandel bedeutet lediglich, dass die Rechtslage in der Vergangenheit nicht richtig erkannt wurde, so das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz in der oben zitierten Entscheidung. Dies gelte auch für die Urteile des Europäischen Gerichtshofs und des Bundesverwaltungsgerichts, die die Rechtslage nicht verändert haben, denn hierdurch sei lediglich erstmals erkannt worden, dass die Bestimmungen über den Versorgungsabschlag für ehemals Teilzeitbeschäftigte gegen das gemeinschaftsrechtliche Lohngleichheitsgebot verstießen.
Schließlich sei auch durch den Ablauf der Umsetzungsfrist für die Richtlinie 2002/73/EG am 5. Oktober 2005 keine Rechtsänderung im Sinne des § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG eingetreten.
Das beklagte Land sei auch aus den Vorschriften der §§ 48, 49 VwVfG nicht zum Wiederaufgreifen des Versorgungsfestsetzungsverfahrens für die Zeit vom 5. Oktober 2005 bis zum 30. Juni 2008 verpflichtet, da die diesbezügliche Ermessensausübung sich an den widerstreitenden Belangen der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes einerseits und der materiellen Gerechtigkeit andererseits ausgerichtet habe.
Eine Rücknahme des Versorgungsfestsetzungsbescheids vom 8. November 2001 mit Wirkung für die Vergangenheit sei auch nicht aus Gründen des Europäischen Gemeinschaftsrechts geboten gewesen, weil auch die Voraussetzungen für eine unmittelbar aus dem Gemeinschaftsrecht folgende Rücknahmeverpflichtung nicht vorlägen.
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